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  • Veröffentlichungsdatum

    17. April 2008

  • Dauer

    12 Titel

Kapitulation hinter all diesen Fenstern.
Review von Oliver Lambrecht
Zu Beginn der Karriere gab es von Kettcar noch Aufmunterung für den Typen vom Balkon gegenüber. Sechs Jahre später ist Marcus Wiebusch zwar zweifacher Vater, aber der Heeresführer "der leeren Flaschen" aus der Nachbarschaft kehrt gebrochen zurück ins Hotel Mama ("Würde"). Wer auf Hochgefühl steht, muss bis auf weiteres Fahrstuhl fahren. Es ist Zeit für ausgiebige Ernüchterung.

Die "Pur für Alkoholiker" geizen auf ihrer dritten Platte "Sylt" mit Optimismus und Befindlichkeiten. An den Reglern wechselten Grand Hotel-Hausproduzent Swen Meyer, Moses Schneider (Beatsteaks, Tocotronic) und Tobias Siebert (Klez.e) reihum. So variiert auch der Klang von "Sylt", das dementsprechend facettenreicher aus den Boxen strahlt.

Der Blick schweift vom Inneren zu den Alltags-Geschichten. Nur nicht nach außen, denn es gibt "Kein Außen Mehr" und Distinktion funktioniert schon lange nicht. Wo mal hell und dunkel, schwarz und weiß waren, gibt es heute nur noch rohes atmosphärengrau. Die Gitarren rauschen etwas mehr, der Gesang droht manchmal in Nuscheleien unterzugehen. Ziemlich hart für selbsterklärte Gitarrenpopper.

Gleich zu Beginn der knapp 44 Minuten sabotiert die Band mit der ersten Single "Graceland" prominente Mythen, zweifelhafte Bewegungen und sich selbst gleich mit. Früher war nicht alles besser, aber es fiel leichter, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Früher lebte Elvis auch noch und heute schwingen unzählige Imitatoren ihre Hüfte. Sie leben den Traum an dem ein anderer zerbrach und lassen um sich herum - ohne Gegenwehr - eine ganze Memorabilien-Industrie entstehen. Kapitulation hinter all diesen Fenstern.

Doch bei allen Sehnsüchten bietet der King auch nur ein "Nullsummenspiel", das die Band gleich danach vertont. Bei Konzerten werden an dieser Stelle einige Arme ausgebreitet und Schultern ausgekugelt. Aber live ist nicht gleich life "und am Ende steht immer die Null". (Eine Zeile, die auch die Sportfreunde vertonen könnten. Aber bei den Münchnern ginge jede Dramatik verloren.)

Auch wenn die Musik gute Laune verbreitet, berührt der Text eher durch Sachlichkeit. Ernüchterung setzt auch schon bei einem Bierchen "Am Tisch" ein. Das Finale einer Freundschaft, bei dem Niels Frevert und Ich-Erzähler Wiebusch aneinander vorbei, aber dem anderen letztmalig ins Gewissen reden. Dieser unerwartete wie bereichernde Auftritt verleiht dem Lied eine bedrückende Tragik.

In zwölf Geschichten, die vor Projektionsflächen nur so strotzen, die das Scheitern kompromisslos und bis über die Schmerzgrenze hinaus beschreiben ("Würde", "Verraten") oder prophezeien ("Geringfügig, Befristet, Raus"), arbeiten sich die Hamburger an der Wirklichkeit ab. Und noch ehe die Nordsee der Insel das letzte Stückchen Land raubt, legen Kettcar "Sylt" in Schutt und Asche. Mit ihr verschwinden all die Träume, all die Lügen und all die Intrigen.

Und mit "Wir Werden Nie Enttäuscht Werden" läuten Wiebusch und Co. die Trostrunde ein. Die Sprengkraft des Liedes erinnert enorm an das ähnlich positionierte Tocotronischen "Explosionen". Aber hier geht am nächsten Tag die Sonne auch wieder über Sylt auf und bringt neue Träume, neue Lügen und neue Intrigen. Willkommen in der Realität.

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